Margarete Beutler Sonntagsmorgen
Sie lag auf den Stufen vom Kirchenportal – nun endlich ein Schauer von Glück einmal,
nun endlich die Ruhe, die sie gesucht – keine Kinder toben, kein Raufbold flucht.
Ein Heißes küßt sie, ein Sonnenschein – da reißt eine Hand sie empor: Du Schwein,
Du verkommenes Stück, am Gotteshaus schläfst du von schmutzigen Nächten aus?
Dann schüttelt ein Schutzmann sie hin und her – sie bricht in die Kniee, schlaff und schwer.
Sie wimmert, ihr fällt das Tuch vom Kopf es löst sich der winzige braune Zopf –
den mageren Hals umtanzt das Haar, sie möchte schreien: Es ist nicht wahr!
Ein Leben lebt’ ich voll Durst und Qual, heut griff ich zur Flasche – zum ersten Mal! –
Die Kehle ist ihr vom Branntwein wund – es gurgelt und lallt nur der arme Mund.
Sie schleppen sie vorwärts – auf Schritt und Tritt drängt eine johlende Rotte mit.
(o.J.)
Margarete Beutler Wiegenlied der roten Jule
Sauf, Karnickel! det macht Spaß!
Brennt ’n bisken woll im Mund?
Sieste, sowat kommt vom Suff!
Meinetwegen sauf dir jroß!
Eene mit so rotes Haar,
Je! Wat trieb ick det mal doll!
Sauf, mein Engel, sauf dir tot –
(1908)
Julius Hart Auf der Fahrt nach Berlin
Von Westen kam ich, — schwerer Heideduft Umfloß mich noch, vor meinen Augen hoben Sich weiße Birken in die klare Luft, Von lauten Schwärmen Krähenvolks umstoben, Weit, weit die Heide, Hügel gelben Sands, Und binsenüberwachsne Wasserkolke, Fern zieht ein Schäfer in des Sonnenbrands Braunglühendem Reich verträumt mit feinem Volke.
Von Westen kam ich und mein Geist umspann Weichmütig rasch entschwundene Jugendtage, Wares eine Träne, die vom Auge mir rann, Klang es von dem Mund wie sehnsuchtsbange Klage? … Von Westen kam ich und mein Geist entflog Voran und weit in dunkle Zukunftstunden … Wohl hob er mächtig sich, sein Flug war hoch, Und Schlachten sah er, Drang und blutige Wunden.
Vorbei die Spiele, durch den Nebelschwall Des grauenden Septembermorgens jagen Des Zuges Räder, und vom dumpfen Schall Stöhnt, dröhnt und saust im engen Eisenwagen … Zerzauste Wolken, winddurchwühlter Wald Und braune Felsen schießen wirr vorüber, Dort graut die Havel, und das Wasser schwallt, Die Brücke, hei! dumpf braust der Zug hinüber.
Die Fenster auf! Dort drüben liegt Berlin! Dampf wallt empor und Qualm, in schwarzen Schleiern Hängt tief und steif die Wolke drüber hin, Die bleiche Luft drückt schwer und liegt wie bleiern ... Ein Flammenherd darunter — ein Vulkan, Von Millionen Feuerbränden lodernd, … Ein Paradies, ein süßes Kanaan, — Ein Höllenreich und Schatten bleich vermodernd.
Hindonnernd rollt der Zug! Es saust die Luft, Ein anderer rast dumpfrasselnd rasch vorüber, Fabriken rauchgeschwärzt, im Wasserduft Glänzt Flamme um Flamme, düster, trübe und trüber, Engbrüstige Häuser, Fenster schmal und klein, Bald braust es dumpf durch dunkle Brückenbogen, Bald blitzt es unter uns wie grauer Wasserschein, Und unter Kähnen wandeln müde die Wogen. Vorbei, vorüber! und ein geller Pfiff!
Weiß fliegt der Dampf, … ein Knirschen an den Schienen! Die Bremse stöhnt laut unter starkem Griff … Langsamer nun! Es glänzt in aller Mienen! Glashallen über uns, rings Menschenwirren, … Halt! Und »Berlin!« Hinaus aus engem Wagen!
»Berlin!« »Berlin!« Nun hoch die junge Stirn, Ins wilde Leben laß dich mächtig tragen! Berlin! Berlin! Die Menge drängt und wallt, Wirst du versinken hier in dunklen Massen … Und über dich hinschreitend stumm und kalt, Wird niemand deine schwache Hand erfassen? Du suchst — du suchst die Welt in dieser Flut, Suchst glühende Rosen, grüne Lorbeerkronen, … Schau dort hinaus! … Die Luft: durchquillt wie Blut, Es brennt die Schlacht und niemand wird dich schonen. Schau dort hinaus! Es flammt die Luft und glüht, Horch Geigenton zu Tanz und üppigem Reigen! Schau dort hinaus, der fahle Nebel sprüht,
Aus dem Gerippe nackt herniedersteigen … Zusammen liegt hier Tod und Lebenslust, Und Licht und Nebel in den langen Gassen Nun zeuch hinab, so stolz und selbstbewußt, Welch Spur willst du in diesen Fluten lassen?
(1885)
Arno Holz Auf der Straße
Er küßte den Laternenpfahl Und hielt ihn fest umschlungen, Und um ihn freute der Skandal Ein Rudel Straßenjungen.
Erst seinen Wochenlohn verschnapst In räuchriger Spelunke Und dann verkatert und verflapst Und voll wie eine Unke!
Rotangepinselten Gesichts, Ein Don Juan der Posse So bettelte der Taugenichts Sich schließlich in die Gosse.
Da fiel mir ein ein bittrer Scherz, Das Wort, das euch bekannt ist: Der Wein erfreut des Menschen Herz – Zumal wenn er gebrannt ist!
(1886)
Arno Holz Ein Bild
Zwei Rassen gibt’s, die eine wird mit Sporen, …
Aus Sandstein ist das gelbliche Portal, Die roten Säulen aus Granit gehauen, Und seitwärts in ein weißes Piedestal Vergräbt ein Löwe seine Marmorklauen. Doch schwarz verhängt sind alle Fenster heut Und Lichter brennen nur im Erdgeschosse, Der Straßendamm ist hoch mit Stroh bestreut Und lautlos drüberhin rollt die Karosse.
Das Treppenhaus verteidigt der Portier Und schüttelt grimmig seine graue Mähne, Und naht gar einer aus der Haute volée, Dann fletscht er zerberusgleich seine Zähne. Im Prunksaal trauern hinter Flor und Taft Die bunten Inderstoffe aus Lahore, Auch schleicht die goldbetreßte Dienerschaft Nur auf Spitzzehen durch die Korridore.
Der hochgeborne Hausherr, Exzellenz, Schwankt wie ein Rohr umher auf bleicher Düne, Die erste Redekraft des Parlaments Fehlt heute abermals auf der Tribüne. Zwar trat man gestern erst in den Etat, Doch hat sein Fehlen diesmal gute Gründe: Schon viermal war der greise Hausarzt da Und meinte, daß es sehr bedenklich stünde.
Nach Eis und Himbeer wird gar oft geschellt, Doch mäuschenstill ist es im Krankenzimmer, Und seine düstre Teppichpracht erhellt Nur einer Ampel rötliches Geflimmer. Weit offen steht die Tür zum Vestibül Und wie im Traum nur plätschert die Fontäne, Die Luft umher ist wie gewitterschwül, Denn ach, die gnädge Frau hat heut – Migräne!
(1886)
Ein andres
Fünf wurmzernagte Stiegen geht’s hinauf
Das Fenster ist vernagelt durch ein Brett,
Ein Stümpfchen Talglicht gibt nur trüben Schein,
Der junge Doktor aber nimmt das Licht Da schluchzt sein Herz, indes das Licht verkohlt,
(1886)
Georg Latz Das Muttererbe
Sie ging tagaus, sie ging tagein genau dasselbe Endchen; ihr kleines blondes Töchterlein, das hatte sie am Händchen.
Sie lernte auf dem ständ’gen Gang verschied’ne Herren kennen; die Kleine mußte durch die Bank sie alle »Onkel« nennen.
Mama und Tochter wurden da
Und die Mama blieb jetzt zuhaus
Dann ging tagaus, dann ging tagein
Und wenn es einen Onkel sah,
(1903)
Emil Nicolai Straßenbild
Ein Menschenhauf – ein Schutzmann – und ein Karren Und auf dem Karren ein betrunk’nes Weib. Notdürft’ge Kleidung deckt den magern Leib – Die Nase spitz, wie eines Giebels Sparren.
Die Menge gafft – und tut der Dinge harren, die sich entwickeln ihr zum Zeitvertreib. – Und mancher Schimpf trifft das betrunk’ne Weib, des Augen glasig in die Leere starren.
Sie griff zur Flasche in des Lebens Not, als ihr das Herz umkrallt der Ohmacht Gram; die Kinder weinten: »Mutter! – Hunger! – Brot!«
Nun deckt die blassen Wangen brennend Rot Wie in des Unglücks unbewußter Scham – Der Karren rollt. Ein Opfer – lebend tot.
(1910)
Bruno Wille Gefallen
Umhaucht vom Silberdufte Des üppig blühenden Mondes, Erschauert leise des Parkes Glänzendes Laubgesproß – Wie träumende Seelenjugend Im Kusse lichter Gedanken. Über den Wipfeln fern das Nachtgewölk Flammt bisweilen von Blitzen – Dem dumpfen Schläfer gleich, Den heiße Leidenschaft Zuckend rührt. Aus Büschen und frischen Halmen Atmet der süße Mai; In lauschiger Blättertiefe Dichtet träumend die Nachtigall; Und vom stolzen bleichen Hause An des Parkes Saum Aus erhellten Fenstern Klingt Musik Wie perlendes Glück. Im Garten aber am Eisengitter
Durch bebende Zweige fällt Aus der Tür des Hauses tritt Und der Mann auf hartem Stein
(1890)
Bruno Wille Straße
An düster ragenden Häuserwällen Durch flammenbesäte steinerne Schlucht Branden die rasselnden Wagen, die Menschen – Wie Wellen in klippiger Meeresbucht – Der rote Vollmond taucht empor.
Die Menge wühlt und drängt und stößt; Jedweden kümmert nur seine Not – Wie auf dem Deck des lecken Schiffes, Das in den Tod zu sinken droht – Der rote Mond schaut düster drein.
Auf glattem Bürgersteige kauert – Gleichwie am Felsenriff das Wrack – Ein Mann mit vorgesunknem Kopfe, Zur Seite einen Lumpensack – Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.
Die Leute auf dem Bürgersteige Treiben vorbei und blicken kalt; Die Straßenbahn beglotzt im Rollen Mit grünem Auge die Gestalt – Der rote Mond schaut düster drein.
Dort drüben lockt die blutige Flamme Dem Schnapswirt manchen Gast ins Haus; Und öffnet sich die Schänke dunstig, Dringt Schelten und Gejohl heraus – Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.
Des Handelshauses Fensterreihe Ist noch vom Gaslicht grell erhellt; Papier und Pult und blasse Schreiber; Der Chef durchzählt des Tages Geld – Der Vollmond blickt mit düstrer Glut.
Nun heult vom Hofe die Maschine Zur Vesper; da entläßt das Tor Viel arbeitsmatte Blusenmänner; Nur der Fabrikschlot stößt empor Zum roten Monde schwarzen Rauch.
Ein würdiger Bürger kommt geschritten, Den Lump am Steige trifft sein Blick; Entrüstet mit dem Kopfe schüttelnd Geht er zu Bier und Politik – Und zornrot glüht der volle Mond.
(1894) |
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