Andreas Gryphius
Tränen in schwerer
Krankheit
Mir ist, ich weiß nicht wie; ich seufze
für und für.
Ich weine Tag und Nacht, ich sitz in
tausend Schmerzen
Und tausend fürcht ich noch; die Kraft in
meinem Herzen
Verschwind’t, der Geist verschmacht’, die
Hände sinken mir.
Die Wangen werden bleich, der munteren
Augen Zier
Vergeht gleich als der Schein der schon
verbrannten Kerzen.
Die Seele wird bestürmt gleich wie die
See im Märzen.
Was ist dies Leben doch, was sind wir,
ich und ihr?
Was bilden wir uns ein? Was wünschen wir
zu haben?
Itzt sind wir hoch und groß und morgen
schon vergraben;
Itzt Blumen, morgen Kot; wir sind ein
Wind, ein Schaum,
Ein Nebel und ein Bach, ein Reif, ein
Tau, ein Schatten;
Itzt was und morgen nichts, und was sind
unsre Taten
Als ein mit herber Angst durchaus
vermischter Traum.
(1640)
Justinus Kerner
Geisterzug
Ich geh’ in düstrer Nacht allein
Durchs tiefe, tiefe Tal,
Die Mühle schweigt, es ruht ihr Stein.
Herz! könnt’st du ruhn einmal!
Der Himmel ist so sternenleer!
So öd die Erde ist!
Hab’ keine, keine Heimat mehr,
Seit du gestorben bist.
Wie lag so schwer auf mir der Tag!
Du stille Nacht, sei mild! –
Da schwebt ja durch das grüne Hag
Sein stilles Totenbild.
Hör, Lieber, mich! Gibst keinen Laut,
Schwebst stumm voran mir nur!
Ja! lieber, lieber Schatten traut,
Will folgen deiner Spur!
Sanft weht ein kühler Hauch mich an,
Der ziehet mich nach dir.
Das hast, Geliebter! du getan!
Und fort muß ich von hier.
Fort ziehst du mich, muß heute noch
Mit dir zu Grabe gehn.
Ihr Lieben! Lieben, laßt mich doch!
Ade! auf Wiedersehn!
(o.J.)
Betty Paoli
In der Krankheit
O strömt herein, ihr milden
Frühlingslüfte,
Und tröstet mich in meiner
Krankenzelle!
Herein, o West! du flüchtiger
Geselle!
Herein ihr Strahlen und ihr
Blumendüfte.
Sonst sucht’ ich euch im Berg- und
Felsgeklüfte,
Im Talesgrund und an dem
Waldesquelle,
Jetzt aber fleh’ ich: Kommt zu meiner
Schwelle
Und scheucht hinweg den dumpfen Hauch der
Grüfte
Soll mir des ernsten Engels Ruf
erschallen,
So laßt, eh’ ich dem Todesstreich
erlegen,
Noch eure holden Schimmer auf mich fallen!
Wenn nicht, so laßt es tief ins Herz mich
prägen,
Wie es doch schön und herrlich
hinzuwallen
Auf einer Welt voll Frühlingsglanz und
Segen!
(1856)
Emil Rittershaus
Am Grabe meines Weibes.
»Du bist die Sonne meines Lebens
Und lieben hast du mich gelehrt.«
Sommer 1854.
Emil Rittershaus.
»Ewig jung ist nur die Sonne,
Sie allein ist ewig schön.«
Conrad Ferdinand Meyer.
Ich steh’, mein Weib, an deiner Schlummerstatt. –
Auf Cykaswedel, grünes Palmenblatt,
Auf Winterastern, blüh’nde Erika,
Wie lieblich scheint die Morgensonne da! –
Und wieder kommt es mir in meinen Sinn
Wie du warst eine Sonnenschwärmerin,
Wie dir die Seele war beglückt, verklärt,
Wenn Gott uns nur den Sonnenschein beschert.
Wie oft du sprachst mit fröhlichem Gesicht,
Daß ewig jung nur sei das Sonnenlicht
Und ewig schön – wie du der Qualen Last,
Schien nur die Sonne, schnell vergessen hast!
Und sieh, zumut wird mir’s in dieser Stund’,
Als hauchte leis mich an dein süßer Mund,
Als sah’ mich an dein Aug’, so wunderbar,
Das selbst wie eine milde Sonne war!
Wo du warst, war der schönste Sonnenglanz,
Wo du warst, blühte auf der Blumenkranz –
Zu Mute wird mir’s, o, so seltsamlich,
Als wären noch getrennt nicht du und ich.
Und also ist’s: den heißgeliebten Mann
Ein edles treues Weib nicht lassen kann,
Und hebt ein Kind den Blick zu dir empor
Und ruft, so hört es seiner Mutter Ohr.
Nur was vergänglich, deckt der Kugel hier!
Du lebst in mir, ich lebe fort in dir;
Ich fühle deinen Odem mich umwehn,
Und weiß gewiß, daß wir uns wiedersehn!
Solang’ des Lebens Flamme in mir kreist,
Will leben ich, mein Weib, in deinem Geist,
Will wirken ich, mein Weib, in deinem Sinn,
Du, meine Sonne, Sonnenschwärmerin!
Wo sich die Kummerwolke drohend ballt,
Will bringen ich der Liebe Lenzgewalt –
Wo Trübsinn häuft die schweren Nebel dicht,
Will bringen ich des Frohsinns Sonnenlicht.
Im Sonnenglanz, der auf dem Hügel ruht,
Mein’ ich zu lesen: ja, so ist es gut! – –
So will ich wandeln denn nach deinem Sinn,
Du, meine Sonne, Sonnenschwärmerin!
(1896)
Johann Röling
Sterblied
Röm. 8, 18–19.
Erschrick, o liebste Seele, nicht,
Wenn dich des Todes Not
anficht.
Ich weiß, worauf ich leb’ und
sterbe,
Mein Grund des Glaubens stehet
fest;
Wenn mich die ganze Welt
verlässt,
So werd’ ich erst des Himmels
Erbe.
Ich bin des Höchsten liebstes
Kind,
Er hat mich, eh’ die Welt
gegründt,
In Jesu, seinem Sohn,
erwählet.
Hierauf steht meine
Zuversicht,
Was mir sein Vaterherz
verspricht,
Das bleibt mir ewig
ungeschmälet.
Was will mir hier zuwider
sein?
Nicht Leben oder
Todespein,
Noch was hier oder dort zu
nennen.
Kein tiefes Leid, noch hohe
Pracht,
Kein Engel oder andre
Macht
Kann mich von Gottes Liebe
trennen.
Drauf halt’ ich meinem Schöpfer
still;
Es gehe mir dann, wie es
will,
Der Frommen Höll’ ist auf der
Erden.
Was kränkt mich diese kurze
Zeit,
Für welcher Noth die
Ewigkeit
Mir soll zu lauter Freude
werden.
Gib dich zufrieden, liebe
Seel’,
Leg ab gutwillig deine
Höhl’,
Den Leib, das Haus so vieler
Sünden.
In diesem Fleisch, das jetzt so
schwach
Und voll von allem
Ungemach,
Wird Gott sich selber künftig
finden.
Trotz sei dem Teufel und der
Welt,
Die mir so schwer zu tragen
fällt;
Wenn mich nichts soll von Gott
abscheiden,
So will ich gern zufrieden
sein,
Und sollt’ ich auch derselben
Pein
Viel tausendmal noch schwerer
leiden.
(o.J.)
Gustav Sack
Der Tod
Wenn alles mißgerät und ganz
zersplittert
sogar des Stolzes harte
Ruhewiegen
in armen Brocken mir zu Füßen
liegen,
wenn mich der Ekel grau und grün
umwittert,
mich die Verzweiflung mauernhoch
umgittert,
weiß ich mich noch an einen Trost zu
schmiegen,
auf purpurrot belegten
Marmorstiegen
vom Dufte des Vergessens schon
umzittert
selbstherrlich in dein Königreich zu
schreiten,
in dem der Sturm Begehren endlich
schweigt,
in dem erstickt von tiefsten
Sicherheiten
der zungenlaute Zweifel von mir
weicht
und mir nicht mehr zu kurzen
Trunkenheiten
die Hoffnung ihren Lügenbecher
reicht.
(1920)
Gustav Sack
Genug!
Genug! jetzt halte ich den Kreisel
stille,
der ohne Rast sich um sich selber
dreht
und den ein wütend blinder
Weltenwille
mit Peitschen treiben muß, daß er nur
steht
und nicht im nächsten Augenblicke
matt
und ewig regungslos zu Boden
fällt.
Genug! ich bin der Peitsche
übersatt,
satt bin ich dieser qualgepeitschten
Welt
und gebe den Gehorsam endlich
auf,
ein Ding zu sein, das alle Nöte
hetzen,
bis es nach richtig abgerastem
Lauf
umsinkt ein Haufen Staub und
Trümmerfetzen.
Mein sei der Augenblick, in dem ich
falle,
ich will in meiner Nöte größter
Not
und voller Hohn und bitterschwarzer
Galle
eingehn in einen freiherrlichen
Tod!
(1920)
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