Ernst Blass
Das Behagen
Wir quälen uns. In flaue Freundlichkeit
Hat uns der Walzer und der Wein gebettet.
Wir machen uns in unsern Sesseln breit
Und spüren, wie die laute Nacht verfettet.
Ach, dieser schäbig blanke Glanz der Lichter!
Wie friedlich ihn die Spiegel widergeben!
Und wie der armen, geckigen Gesichter
Langende Lippen gähnend sich verkleben!
Der Rechtsanwalt sitzt da – auf dem Fauteuilche.
Er ist noch jung trotz seiner fünfzig Jahre.
Es glänzen seine feuchten Glatzenhaare
Und seine kugelrunde Nase, welche
– Und mit dem Ausdruck: Dies ist doch das Wahre! –
Entsteigt dem zitternden Champagnerkelche.
(1912)
Ernst Blass
Der Nervenschwache
Mit einer Stirn, die Traum und Angst zerfraßen,
Mit einem Körper, der verzweifelt hängt
An einem Seile, das ein Teufel schwenkt,
– So läuft er durch die langen Großstadtstraßen.
Verschweinte Kerle, die die Straße kehren,
Verkohlen ihn; schon grölt er arienhaft:
»Ja, ja – ja, ja! Die Leute haben Kraft!
Mir wird ja nie, ja nie ein Weib gebären
Mir je ein Kind!« Der Mond liegt wie ein Schleim
Auf ungeheuer nachtendem Velours.
Die Sterne zucken zart wie Embryos
An einer unsichtbaren Nabelschnur.
Die Dirnen züngeln im geschlossnen Munde,
Die Dirnen, die ihn welkend weich umwerben.
Ihn ängsten Darmverschlingung, Schmerzen, Sterben,
Zuhältermesser und die großen Hunde.
(1912)
Ernst Blass
Kreuzberg I
Blaßmond hat Hall und Dinge grau geschminkt.
Das Wundern lernte selbst der karge Greis,
Der unten, auf der Bank, im engsten Kreis
Vor sich den mageren Spazierstock schwingt.
Da liegt die große Stadt: schwer, grau und weiß.
Ein Rauchen, Greifen, Atmen, daß es stinkt.
Eh sie dem heil’gen Tag das Dunkle wild entringt,
Erwachen Nerventräume, blaß und heiß.
Fort mit dem süßen Blick! Fort mit dem Kusse!
Hörst du die roten Nacht- und Not-Alarme?
Die heißen, blassen Träume sind verstreut.
Mir stehen riesige liebes-, hasseswarme
Gebäude zu durchwandern weit bereit.
Da unten rollen meine Autobusse!
(1912)
Paul Boldt
Auf der Terrasse des Café Josty
Der Potsdamer Platz in ewigem Gebrüll
Vergletschert alle hallenden Lawinen
Der Straßentrakte: Trams auf Eisenschienen,
Automobile und den Menschenmüll.
Die Menschen rinnen über den Asphalt,
Ameisenemsig, wie Eidechsen flink.
Stirne und Hände, von Gedanken blink,
Schwimmen wie Sonnenlicht durch dunklen Wald.
Nachtregen hüllt den Platz in eine Höhle,
Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln schlagen
Und lila Quallen liegen – bunte Öle;
Die mehren sich, zerschnitten von den Wagen. –
Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd Nest,
Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer
Pest.
(1912)
Paul Boldt
Der
Schnellzug
Es sprang am Walde auf in panischem Schrecke,
Die gelben Augen in die Nacht geschlagen. –
Die Weiche lärmt vom Hammerschlag der Wagen
Voll blanken Lärms, indes sie fern schon jagen.
Im blinden Walde lauert an der Strecke
Die Kurve wach. Es schwanken die Verdecke.
Wie Schneesturm rennt der D-Zug durch die Ecke,
Und tänzelnd wiegen sich die schweren Wagen.
Der Nebel liegt, ein Lava, auf den Städten
Und färbt den Herbsttag grün. Auf weiter Reise
Wandert der Zug entlang den Kupferdrähten.
Der Führer fühlt den Schlag der Triebradkreise
Hinter dem Sternenkopfe des Kometen,
Der zischend hinfällt über das Geleise.
(1914)
Paul Boldt
Friedrichstraßendirnen
Sie liegen immer in den Nebengassen,
Wie Fischerschuten gleich und gleich getakelt,
Vom Blick befühlt und kennerisch bemakelt,
Indes sie sich wie Schwäne schwimmen lassen.
Im Strom der Menge, auf des Fisches Route.
Ein Glatzkopf äugt, ein Rotaug’ spürt Tortur,
Da schießt ein Grünling vor, hängt an der Schnur
Und schnellt an Deck einer bemalten Schute,
Gespannt von Wollust wie ein Projektil!
Die reißen sie aus ihm wie Eingeweide,
Gleich groben Küchenfrauen ohne viel
Von Sentiment. Dann rüsten sie schon wieder
Den neuen Fang. Sie schnallen sich in Seide
Und steigen ernst mit ihrem Lächeln nieder.
(1914)
Paul Boldt
Liebesmorgen
Aus dem roten, roten Pfühl
Kriecht die Sonne auf die Dielen,
Und wir blinzeln nur und schielen
Nach uns, voller Lichtgefühl.
Wie die Rosa-Pelikane,
Einen hellen Fisch umkrallend,
Rissen unsere Lippen lallend
Kuß um Kuß vom weißen Zahne.
Und nun, eingerauscht ins weiche
Nachgefühl der starken Küsse,
Liegen wir wie junge Flüsse
Eng umsonnt in einem Teiche.
Und wir lächeln gleich Verzückten;
Lachen gibt der Garten wieder,
Wo die jungen Mädchen Flieder,
Volle Fäuste Flieder pflückten.
(1914)
Paul Boldt
Mädchennacht
Der Mond ist warm, die Nacht ein Alkohol,
Der rasch erglühend mein Gehirn betrat,
Und deine Nacktheit weht wie der Passat
Trocknend ins Mark.
Du hast ein weißes Fleischkleid angezogen.
Mich hungert so – ich küsse deine Lippen.
Ich reiße dir die Brüste von den Rippen,
Wenn du nicht geil bist!
– Küsse sind Funken, elektrisches Lechzen
Kupferner Lippen, und die Körper knacken!
Mit einem Sprunge sitzt mein Kuß im Nacken
Und frißt dein Bäumen und dein erstes Ächzen.
Und als ich dir die weißen Knie und,
Dein Herz verlangend, allen Körper küßte,
Geriet mein Schröpfkopf unter deine Brüste;
Da drängte sich das Herz an meinen Mund.
(1914)
Gerrit Engelke
Alles zu
allem
Es wächst und wächst das Eisen-Netz:
Der parallelen Schienen,
Nach der Entwicklung Muß-Gesetz
Kommt über Brücken, Minen,
Zug um Zug in Dampf!
Es pflügen Dampfer mehr und mehr
Die Flutenwege offen.
Der Dock-Schoß wird von Kielen leer:
Vom Vorwärts-Drang getroffen
Kommt Schiff um Schiff zum Meer!
Es wächst vom Boden Turm um Turm:
Fabriken, Haus, Kaserne,
Es wühlt und wühlt der Straßenwurm
Den Asphaltweg zur Ferne:
Kommt langsam Stadt zu Stadt!
Ein Menschenstrom wälzt breit und breit,
Bewehrt mit Axt und Pfosten,
Durch Wasser, Land und Land und Zeit,
Von Süd nach Nord, von West nach Osten:
Kommt einend Mensch zu Mensch!
Und Quell wird Fluß, und Fluß wird Bord:
Und jede Stunde: Fahrzeit,
Und Meer wird Land, und Land wird Ort:
Und Kind wird Mann und Arbeit:
Kommt alles und alles zu allem!
(1921)
Gerrit Engelke
An die Soldaten des großen Krieges
In memoriam August Deppe
Herauf! aus Gräben, Lehmhöhlen, Betonkellern,
Steinbrüchen!
Heraus aus Schlamm und Glut, Kalkstaub und Aasgerüchen!
Herbei! Kameraden! Denn von Front zu Front, von Feld zu Feld
Komme euch allen der neue Feiertag der Welt!
Stahlhelme ab, Mützen, Käppis! und fort die Gewehre!
Genug der blutbadenden Feindschaft und Mordehre!
Euch alle beschwör ich bei eurer Heimat Weilern und
Städten,
Den furchtbaren Samen des Hasses auszutreten, zu jäten,
Beschwöre euch bei eurer Liebe zur Schwester, zur Mutter, zum Kind,
Die allein euer narbiges Herz noch zum Singen stimmt.
Bei eurer Liebe zur Gattin – auch ich liebe ein Weib!
Bei eurer Liebe zur Mutter – auch mich trug ein Mutterleib!
Bei eurer Liebe zum Kinde – denn ich liebe die Kleinen!
Und die Häuser sind voll von Fluchen, Beten, Weinen!
Lagst du bei Ypern, dem zertrümmerten? Auch ich lag dort.
Bei Mihiel, dem verkümmerten? Ich war an diesem Ort.
Dixmuide, dem umschwemmten? Ich lag vor deiner Stirn
In Höllenschluchten Verduns, wie du in Rauch und Klirrn;
Mit dir im Schnee vor Dünaburg, frierend, immer trüber,
An der leichenfressenden Somme lag ich dir gegenüber.
Ich lag dir gegenüber überall, doch wußtest du es nicht!
Feind an Feind, Mensch an Mensch und Leib an Leib, warm und dicht.
Ich war Soldat und Mann und Pflichterfüller, so wie du,
Dürstend, schlaflos, krank – auf Marsch und Posten immerzu.
Stündlich vom Tode umstürzt, umschrien, umdampft,
Stündlich an Heimat, Geliebte, Geburtsstadt gekrampft
Wie du und du und ihr alle. –
Reiß auf deinen Rock! Entblöße die Wölbung der Brust!
Ich sehe den Streifschuß von fünfzehn, die schorfige Krust,
Und da an der Stirn vernähten Schlitz vom Sturm bei Tahüre –
Doch daß du nicht denkst, ich heuchle, vergelt ich mit gleicher Gebühr:
Ich öffne mein Hemd: hier
ist noch die vielfarbige Narbe am Arm!
Der Brandstempel der Schlacht! von Sprung und Alarm,
Ein zärtliches Andenken lang nach dem Kriege.
Wie sind wir doch stolz unsrer Wunden! Stolz du der deinigen,
Doch nicht stolzer als ich auch der meinigen.
Du gabst nicht besseres Blut und nicht rötere Kraft,
Und der gleiche zerhackte Sand trank unsern Saft! –
Zerschlug deinen Bruder der gräßliche Krach der Granate?
Fiel nicht dein Onkel, dein Vetter, dein Pate?
Liegt nicht der bärtige Vater verscharrt in der Kuhle?
Und dein Freund, dein lustiger Freund aus der Schule? –
Hermann und Fritz, meine Vettern, verströmten im Blute,
Und der hilfreiche Freund, der Jüngling, der blonde und gute.
Und zu Hause wartet sein Bett, und im ärmlichen Zimmer
Seit sechzehn, seit siebzehn die gramgraue Mutter noch immer.
Wo ist uns sein Kreuz und sein Grab! –
Franzose du, von Brest, Bordeaux, Garonne,
Ukrainer du, Kosak vom Ural, Dnjestr und Don,
Österreicher, Bulgaren, Osmanen und Serben,
Ihr alle im rasenden Strudel von Tat und von Sterben –
Du Brite, aus London, York, Manchester,
Soldat, Kamerad, in Wahrheit Mitmensch und Bester –
Amerikaner, aus den volkreichen Staaten der Freiheit:
Wirf ab: Sonderinteresse, Nationaldünkel und Zweiheit!
Warst du ein ehrlicher Feind, wirst du ein ehrlicher Freund.
Hier meine Hand, daß sich nun Hand in Hand zum Kreise
binde
Und unser neuer Tag uns echt und menschlich
finde.
Die Welt ist für euch alle
groß und schön und schön!
Seht her! staunt auf! nach Schlacht und Blutgestöhn:
Wie grüne Meere frei in Horizonte fluten,
Wie Morgen, Abende in reiner Klarheit gluten,
Wie aus den Tälern sich Gebirge heben,
Wie Milliarden Wesen uns umbeben!
O, unser allerhöchstes Glück heißt: Leben! –
O, daß sich Bruder wirklich Bruder wieder nenne!
Daß Ost und West den gleichen Wert erkenne:
Daß wieder Freude in die Völker blitzt:
Und Mensch an Mensch zur Güte sich
erhitzt!
Von Front zu Front und Feld zu Feld,
Laßt singen uns den Feiertag der neuen Welt!
Aus aller Brüsten dröhne eine Bebung:
Der Psalm des Friedens, der Versöhnung, der Erhebung!
Und das meerrauschende, dampfende Lied,
Das hinreißende, brüderumarmende,
Das wilde und heilig erbarmende
Der tausendfachen Liebe laut um alle Erden!
(1921)
Gerrit Engelke
Auf der Straßenbahn
Wie der Wagen durch die Kurve biegt,
Wie die blanke Schienenstrecke vor ihm liegt:
Walzt er stärker, schneller.
Die Motore unterm Boden rattern,
Von den Leitungsdrähten knattern
Funken.
Scharf vorüber an Laternen, Frauenmoden,
Bild an Bild, Ladenschild, Pferdetritt, Menschenschritt –
Schlitternd walzt und wiegt der Wagenboden,
Meine Sinne walzen, wiegen mit!:
Voller Strom! Voller Strom!
Der ganze Wagen, mit den Menschen drinnen,
Saust und summt und singt mit meinen Sinnen.
Das Wagensingen sausebraust, es schwillt!
Plötzlich schrillt
Die Klingel! –
Der Stromgesang ist aus –
Ich steige aus –
Weiter walzt der Wagen.
(1921)
Gerrit Engelke
Die Fabrik
Düster, breit, kahl und eckig
Liegt im armen Vorort die Fabrik.
Zuckend schwillt, schrill und brutal
Aus den Toren Maschinen-Musik.
Schlot und Rohr, Schlot und Schlot,
heißdurchkochtes Turmgestein,
speien dickes Qualmgewölk
über traurigstarre Häuser, Straßenkot.
Tausend Mann, Schicht um Schicht,
saugt die laute Arbeitshölle auf.
Zwingt sie all in harte Pflicht
Stunde um Stunde.
Bis der Pfiff heiser gellt:
Aus offnem Tore strömen dann
Mädchen, Frauen, Mann und Mann –
Blasses Volk – müde – verquält –
Schläft der Ort –: glüh und grell
Schreit aus hundert Fenstern Licht!
Kraftgesumm, Rädersausen, Qualm
durchbricht
Roh und dumpf die Nacht –
Tag und Nacht: Lärm und Dampf,
Immer Arbeit, immer Kampf:
Unerbittlich schröpft das Moloch-Haus
Stahl und Mensch und Menschen aus
(1921)
Gerrit Engelke
Ich will heraus aus dieser Stadt
Ich weiß, daß Berge auf mich warten,
Draußen – weit –
Und Wald und Winterfeld und Wiesengarten
Voll Gotteinsamkeit –
Weiß, daß für mich ein Wind durch Wälder dringt,
So lange schon –
Daß Schnee fällt, daß der Mond nachtleise singt
Den Ewig-Ton –
Fühle, daß nachts Wolken schwellen,
Bäume,
Daß Ebenen, Gebirge wellen
In meine Träume –
Die Winterberge, meine Berge tönen –
Wälder sind verschneit –
Ich will hinaus, mit Euch mich zu versöhnen,
Ich will heraus aus dieser Zeit,
Hinweg von Märkten, Zimmern, Treppenstufen,
Straßenbraus –
Die Waldberge, die Waldberge rufen,
Locken mich hinaus!
Bald hab ich diese Straßenwochen,
Bald diesen Stadtbann aufgebrochen
Und ziehe hin, wo Ströme durch die Ewig-Erde pochen,
Ziehe selig in die Welt!
(1921)
Gerrit Engelke
Mensch zu Mensch
Menschen, Menschen alle, streckt die Hände
Über Meere, Wälder in die Welt zur Einigkeit!
Daß sich Herz zu Herzen sende:
Neue Zeit!
Starke Rührung soll aus euren Aufenthalten
Flutgleich wellen um den Erdeball,
Mensch-zu-Menschen-Liebe glühe, froh verhalten,
Überall!
Was gilt Westen, Süden, Nähe, Weitsein,
Wenn euch eine weltentkreiste Seele millionenfältigt!
Euer Mutter-Erde-Blut strömend Ich- und Zeitsein
Überwältigt!
Menschen! Alle Ihr aus einem Grunde,
Alle, alle aus dem Ewig-Erde-Schoß,
Reißt euch fort aus Geldkampf, Krieg, der Steinstadt-Runde:
Werdet wieder kindergroß!
Menschen! Alle! drängt zur Herzbereitschaft!
Drängt zur Krönung Euer und der Erde!
Einiggroße Menschheitsfreunde, Welt- und Gottgemeinschaft
Werde!
(1921)
Gerrit Engelke
Stadt
Zehntausend starre Blöcke sind im Tal errichtet,
Aus: Stein auf Stein um Holz- und Eisenroste hochgeschichtet;
Und Block an Block zu einem Berg gedrückt,
Von Dampfrohr, Turm und Bahn noch überbrückt,
Von Draht, der Netz an Netze spinnt.
Der Berg, von vielen Furchen tief durchwühlt:
Das ist das große Labyrinth,
Dadurch das Schicksal Mensch um Menschen spült.
Fünfhunderttausend rollt im Kreis das große Leben
Durch alle Rinnen fort und fort in ungeheurem Streben:
In Kaufhaus, Werkstatt, Saal und Bahnhofshalle,
In Schule, Park, am Promenadenwalle,
Im Fahrstuhlschacht, im Bau am Kran,
Treppauf und ab, durch Straßen über Plätze,
Auf Wagen, Rad und Straßenbahn:
Da schäumt des Menschenstrudels wirre Hetze.
Fünfhunderttausend Menschen rollt das große Leben
Durch alle Rinnen fort und fort in ungeheurem Streben.
Und karrt der Tod auch Hundert täglich fort,
Es braust der Lärm wie sonst an jedem Ort.
Schleppt er vom Hammer-Block den Schmied,
Schleppt er vom Kurven-Gleis den Wagenleiter:
Noch stärker brüllt das Straßenlied:
Der Wagen fährt – der Hammer dröhnt weiter.
(1921)
Albert Ehrenstein
Anbetung
Der Weiber Fjord, den süßen,
hab ich lang entbehren müssen.
An Nehmerinnen des Goldes,
den Gütig-Käuflichen nehme ich
Schaden,
Seele will nur bei Seele zu Gaste sich
laden.
Mich ekelt der gröbliche Zeitvertreib
mit einem Krummholz-Bauernweib.
Lieber will ich an dir, der
sehnsuchtsschlanken
Prinzessin von Byzana,
hilflos erkranken.
Am Ufer zagst du wellenlüstern
in der Furchen Furcht.
Wenn dein Lichtgesicht
der Stromwind anfährt,
bist du die Flucht vor der Frucht,
vor dem Wasserberg,
der deiner Knöchel Heiliges Land
nagend beragt.
Lügen sitzen auf mir.
In deinem Körper möchte ich baden.
O du blauer Glockenblümchen,
Schwälbchen, Hühnchen. Goldfasänchen,
sei du meine Überzeit.
Wohnen will ich in deinem jungen
Forste,
Inbrunst, deine frischen Beine
zu überschatten!
Und ihr Laub ist liebes Lager.
Schön ist’s, ein Mädchen zu schwellen.
Heilung spendet ihr wachsender Leib, und eine gute
Unsterblichkeit.
Tod-krank ist der Mensch,
rasch überspült die Sturzflut,
die Zeit
seine Gestade.
Geht aber ein Mann ein
in den süßen Waldwinkel,
überstirbt sein Schatten in Kindern
den Abendgang.
(o.J.)
Max
Herrmann-NeiSSe
An eine Jüdin in Schwarz
Daß ich dich gefangen hielte,
Deiner Seele
Blutenden Wind,
Daß ich mit dir spielte,
Wie mit einem Kind!
Daß deine Kehle
Das Mahl meiner Zähne trüge!
Du braune Lüge!
Wie eine Katze
Streichst du durch Sommerabendzeit
Unter Linden - - - -
Meine Glut schürt nach dem Schatze,
Fühlst du nicht, wie sie giergrabend
schreit:
»Ich will finden!«
Du braune Seligkeit!
In der Frühe nahm ich ein Bad - - -
Deine Strümpfe sind ja durchbrochen -
Über meinen Pfad
Sind Schnecken gekrochen.
Schwarzes Kleid, weißes Linnen, braune
Haut
Und die rote Wunde - - -
Wird mir so vor ihnen grauen - - -
O lasse
Sie über meinem herben
Abend ein helles Dach erbauen!
Du Frucht der Frauen!
Du braune Frau Zebadoth!
(o.J.)
Max
Herrmann-Neisse
Nacht im Stadtpark
Ein schmales Mädchen ist sehr liebevoll
zu einem Leutnant, der verloren stöhnt.
Ein Korpsstudent mokiert sich, frech, verwöhnt,
und eine schiefe Schnepfe kreischt wie toll.
Ein Refrendar bemüht sich ohne Glück
um eine Kellnerin, die Geld begehrt.
Ein Abgeblitzter macht im Dunkel kehrt,
und eine Nutte schwebt zerzaust zurück.
Zwei Unbestimmte prügeln einen Herrn.
Mit Uniformen zankt ein Zivilist.
Ein Jüngling merkt, daß er betrogen ist
und zwei Verschmolzne haben schnell sich gern.
Ein starker Bolzen und ein Musketier
sind ganz in eine graue Bank verwebt.
Ein Gent an einem Ladenfräulein klebt,
ein greiser Onkel schnuppert geil und stier.
Ein Weib mit bloßem Kopf wird sehr gemein,
ein Louis lauert steif und rührt sich nicht.
Ein Frechdachs leuchtet jeder ins Gesicht,
und ein Kommis umfasst ein weiches Bein.
Es raschelt in den Sträuchern ungewiss
und etwas tappt auf einen steifen Hut.
Die Bäche liegen still wie schwarzes Blut,
und Bäume fallen aus der Finsternis.
Ein Johlen rollt die Straße hin und stirbt,
ein Wurf ins Wasser, irgendwo, ganz dumpf,
ein Mauerwerk wächst wie ein Riesenrumpf,
ein unbekanntes Tier erwacht und zirpt.
Zwei Männer flüstern einen finstern Plan,
ein welkes Wesen wehrt sich hoffnungslos,
ein Schüler hat ein Bahnerweib im Schoß,
im Teich zieht schwer ein ruheloser Schwan.
Und Sterne stolpern in die tiefe Nacht,
und Obdachlose liegen wie erstarrt,
und bleiern hängt der Mond, und hohl und hart
glotzt breit ein Turm, verstockt und ungeschlacht.
(1914)
Georg Heym
Abends
Es ist ganz dunkel. Und die Küsse fallen
Wie heißer Tau im dämmernden Gemach.
Der Wollust Fackeln brennen auf und wallen
Mit roter Glut dem dunklen Abend nach.
Das Fieber jagt ihr Blut mit weißem Brand,
Daß sie sich halb schon seinem Durst gewährt.
Sie bebt auf seinem Schoß, da seine Hand
In ihrem Hemd nach ihren Brüsten fährt.
Hinten, im Vorhang, in der Dunkelheit
Steht auf das Bett, der Hafen ihrer Gier.
Wie Wolken auf dem Meere lagert breit
Darauf der Dunst von schwarzem Elixier.
Wie wird es sein? Sie friert in seinem Arm,
Der ihren nackten Leib hinüberträgt.
Es zittert auf in ihrem Schoße warm,
Um den er wild die beiden Arme schlägt.
Ihr blondes Haar brennt durch die Nacht, darein
Die tiefe Hand des feuchten Dunkels wühlt.
Der Sturm der Wollust läßt sie leise schrein,
Da seinen Biß sie in den Brüsten fühlt.
(1912)
Georg Heym
Deine Wimpern, die langen …
Deine Wimpern, die langen,
Deiner Augen dunkele Wasser,
Laß mich tauchen darein,
Laß mich zur Tiefe gehen.
Steigt der Bergmann zum Schacht
Und schwankt seine trübe Lampe
Über der Erze Tor,
Hoch an der Schattenwand,
Sieh, ich steige hinab,
In deinem Schoß zu vergessen,
Fern, was von oben dröhnt,
Helle und Qual und Tag.
An den Feldern verwächst,
Wo der Wind steht, trunken vom Korn,
Hoher Dorn, hoch und krank
Gegen das Himmelsblau.
Gib mir die Hand,
Wir wollen einander verwachsen,
Einem Wind Beute,
Einsamer Vögel Flug,
Höre im Sommer
Die Orgel der matten Gewitter,
Baden in Herbsteslicht,
Am Ufer des blauen Tags.
Manchmal wollen wir stehn
Am Rand des dunkelen Brunnens,
Tief in die Stille zu sehn,
Unsere Liebe zu suchen.
Oder wir treten hinaus
Vom Schatten der goldenen Wälder,
Groß in ein Abendrot,
Das dir berührt sanft die Stirn.
Göttliche Trauer,
Schweige der ewigen Liebe.
Hebe den Krug herauf,
Trinke den Schlaf.
Einmal am Ende zu stehn,
Wo Meer in gelblichen Flecken
Leise schwimmt schon herein
Zu der September Bucht.
Oben zu ruhn,
Im Hause der durstigen Blumen,
Über die Felsen hinab
Singt und zittert der Wind.
Doch von der Pappel,
Die ragt im Ewigen Blauen,
Fällt schon ein braunes Blatt,
ruht auf dem Nacken dir aus.
(1912)
Georg Heym
Der Gott der Stadt
Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.
Die Winde lagern schwarz um seine
Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in
Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land
verirrn.
Vom Abend glänzt der rote Bauch dem
Baal,
Die großen Städte knien um ihn her.
Der Kirchenglocken ungeheure Zahl
Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme
Meer.
Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik
Der Millionen durch die Straßen laut.
Der Schlote Rauch, die Wolken der
Fabrik
Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch
blaut.
Das Wetter schwelt in seinen
Augenbrauen.
Der dunkle Abend wird in Nacht
betäubt.
Die Stürme flattern, die wie Geier
schauen
Von seinem Haupthaar, das im Zorne
sträubt.
Er streckt ins Dunkel seine
Fleischerfaust.
Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer
jagt
Durch eine Straße. Und der Glutqualm
braust
Und frißt sie auf, bis spät der Morgen
tagt.
(1911)
Georg Heym
Der Krieg I
Aufgestanden ist er, welcher lange
schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und
unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen
Hand.
In den Abendlärm der Städte fällt es
weit,
Frost und Schatten einer fremden
Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu
Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner
weiß.
In den Gassen faßt es ihre Schulter
leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht
erbleicht.
In der Ferne wimmert ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes
Kinn.
Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen
an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und
an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er
schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette
hängt.
Einem Turm gleich tritt er aus die letzte
Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll
Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf
gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß
bedeckt.
Über runder Mauern blauem
Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen
Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen
quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter
schwer.
In die Nacht er jagt das Feuer
querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler
Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze
Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand
erhellt.
Und mit tausend roten Zipfelmützen
weit
Sind die finstren Ebnen flackend
überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und
her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne
mehr.
Und die Flammen fressen brennend Wald um
Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub
gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein
Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause
recht.
Eine große Stadt versank in gelbem
Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds
Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern
steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel
dreht,
Über sturmzerfetzter Wolken
Widerschein,
In des toten Dunkels kalte Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht
verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf
Gomorrh.
(1912)
Georg Heym
Die Nacht
Auf Schlangenhälsen die feurigen Sterne
hängen herunter auf schwankende Türme,
die Dächer gegeißelt. Und Feuer springet,
wie ein Gespenst durch die Gasse der Stürme.
Fenster schlagen mit Macht. Und die Mauern, die alten,
reißen die Tore auf in zahnlosem Munde.
Aber die Brücken fallen über dem Schlunde
und der Tod stehet draußen, der Alte.
Aber die Menschen rennen, ohne zu wissen
blind und schreiend, mit Schwertern und Lanzen.
Unten hallet es dumpf, und die Glocken tanzen,
schlagend laut auf, von den Winden gerissen.
Die Plätze sind rot und tot. Und riesige Monde
steigen über die Dächer mit steifen Beinen
den fiebernden Schläfern tief in die Kammer zu scheinen,
und die Stirne wird fahl wie frierendes Leinen.
(1912)
Georg Heym
Die Professoren
Zu vieren sitzen sie am grünen Tische,
Verschanzt in seines Daches hohe Kanten.
Kahlköpfig hocken sie in den Folianten,
Wie auf dem Aas die alten Tintenfische.
Manchmal erscheinen Hände, die bedreckten
Mit Tintenschwärze. Ihre Lippen fliegen
Oft lautlos auf. Und ihre Zungen wiegen
Wie rote Rüssel über den Pandekten.
Sie scheinen manchmal ferne zu verschwimmen,
Wie Schatten in der weißgetünchten Wand.
Dann klingen wie von weitem ihre Stimmen.
Doch plötzlich wächst ihr Maul. Ein weißer Sturm
Von Geifer. Stille dann. Und auf dem Rand
Wiegt sich der Paragraph, ein grüner Wurm.
(1911)
Georg Heym
Mitte des Winters
Das Jahr geht zornig aus. Und kleine
Tage
Sind viel verstreut wie Hütten in den
Winter.
Und Nächte, ohne Leuchte, ohne
Stunden,
Und grauer Morgen ungewisse Bilder.
Sommerzeit. Herbstzeit, alles geht
vorüber
Und brauner Tod hat jede Frucht
ergriffen.
Und andere kalte Stauden sind im
Dunkel
Die wir nicht sahen von dem Dach der
Schiffe.
Weglos ist jedes Leben. Und verworren
Ein jeder Pfad. Und keiner weiß das
Ende,
Und wer das suchet, daß er einen
fände,
Der sieht ihn stumm, und schüttelnd leere
Hände.
Georg Heym
Umbra vitae
Die Menschen stehen vorwärts in den Straßen
Und sehen auf die großen Himmelszeichen,
Wo die Kometen mit den Feuernasen
Um die gezackten Türme drohend schleichen
Und alle Dächer sind voll Sternedeuter,
Die in den Himmel stecken große Röhren.
Und Zaubrer, wachsend aus den Bodenlöchern,
In Dunkel schräg, die einen Stern beschwören,
Krankheit und Mißwachs durch die Tore kriechen
In schwarzen Tüchern. Und die Betten tragen
Das Wälzen und das Jammern vieler Siechen,
Und welche rennen mit den Totenschragen.
Selbstmörder gehen nachts in großen Horden,
Die suchen vor sich ihr verlornes Wesen,
Gebückt in Süd und West, und Ost und Norden,
Den Staub zerlegend mit den Armen-Besen.
Sie sind wie Staub, der hält noch eine Weile,
Die Haare fallen schon auf ihren Wegen,
Sie springen, daß sie sterben nun in Eile,
Und sind mit totem Haupt im Feld gelegen.
Noch manchmal zappelnd. Und der Felder Tiere
Stehn um sie blind, und stoßen mit dem Horne
In ihren Bauch. Sie strecken alle viere
Begraben unter Salbei und dem Dorne.
Die Meere aber stocken. In den Wogen
Die Schiffe hängen modernd und verdrossen,
Zerstreut, und keine Strömung wird gezogen
Und aller Himmel Höfe sind
verschlossen.
Die Bäume wechseln nicht die Zeiten
Und bleiben ewig tot in ihrem Ende
Und über die verfallnen Wege spreiten
Sie hölzern ihre langen Finger-Hände.
Wer stirbt, der setzt sich auf, sich zu erheben,
Und eben hat er noch ein Wort gesprochen.
Auf einmal ist er fort. Wo ist sein Leben?
Und seine Augen sind wie Glas zerbrochen.
Schatten sind viele. Trübe und verborgen.
Und Träume, die an stummen Türen schleifen,
Und der erwacht, bedrückt von andern Morgen,
Muß schweren Schlaf von grauen Lidern streifen
(1912)
Kurt Heynicke
Gedicht
Ein Meer ist mein Blut
An deines Leibes Küsten brandet laut das
Meer.
Ich bin ein Schiff.
Und bin von Knabenträumen schwer.
Ein Glockenton verfliegt in unserm
Haar,
die Sonne glutet tief in uns hinein,
es blüht ein Baum für unsre Liebe.
In unsern Garten fällt ein neuer
Traum.
Hoch blüht der Baum in unserm Garten.
Die weißen Wege münden hell in deine
Brust.
Du leuchtest.
Und die Stunde singt.
Aus allen Himmel senkt sich blaue
Lust.
(o.J.)
Jakob van Hoddis
Der Oberlehrer
Gewaltig hockt er auf dem Tisch und spricht
Von Theben und Athen, heut nachmittag.
Ein grauer Schurrbart starrt durch sein Gesicht
Er riecht nach saurem Brot und nach Tobak.
Sein kahles Haupt umwettert der Gedanke
Von Theben heiliger Schar, von Pindar spricht er
Der Primus reibt sich an der alten Banke
Die meisten machen willige Gesichter.
Er spricht von Theben heute nachmittag
Einige heben ihre kleinen Hände,
Einige kitzeln leise sich am Sack
Und gucken schläfrig auf die leeren Wände.
»Wer hat soeben auf den Tisch gehauen?«
Durch die betrübten Fenster schimmern Wolken.
Die Jungen sitzen staunend und verdauen. –
Der Lehrer wird jetzt in der Nase polken.
(o.J.)
Jakob van Hoddis
Kinematograph
Der Saal wird dunkel. Und wir sehn die
Schnellen
Der Ganga, Palmen, Tempel auch des
Brahma,
Ein lautlos tobendes Familiendrama
Mit Lebemännern dann und Maskenbällen.
Man zückt Revolver, Eifersucht wird
rege,
Herr Piefke duelliert sich ohne Kopf.
Dann zeigt man uns mit Kiepe und mit
Kropf
Die Älplerin auf mächtig steilem Wege.
Es zieht ihr Pfad sich bald durch
Lärchenwälder,
Bald krümmt er sich und dräuend steigt die
schiefe
Felswand empor. Die Aussicht in der
Tiefe
Beleben Kühe und Kartoffelfelder.
Und in den dunklen Raum – mir ins Gesicht
–
Flirrt das hinein, entsetzlich! nach der
Reihe!
Die Bogenlampe zischt zum Schluß nach Licht
–
Wir schieben geil und gähnend uns ins
Freie.
(o.J.)
Jakob van Hoddis
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der
Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei,
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die
Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere
hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen
Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den
Brücken.
(1911)
Oskar Kanehl
Nachtcafé
Peinlicher Duft beißender Parfümerien,
Rauschgetränke und Zigaretten.
An kleinen Tischen, von beweglichen Kellnern
Umflattert, heimentlaufene Provinzialen,
vollblütige Jugend und, sichtlich gewürdigt,
glatzige Greise mit Stammkelchen.
An den Wänden glucken
Wie Giftpilze bunt
Schneppen zur Wahl. Markt.
Fette und Fleischige, Schwammige, Wabblige,
sie Masttiere vom Schlachthof;
andere, hautüberzogene Knochen,
hölzern und eckig mager,
angepinselte Leichen.
Halbakte. Entblößte Rücken
Und Busen bis an die Warzen.
Offen zum Geldeinwurf.
Augen voll Lebensgeschichten,
gemeine und traurige.
Schicksalberufene, Schicksalgestoßene,
Ausgelebte.
Sie blinzeln und zwinkern
Und lächeln einstudiert.
Untereinander tuscheln sie,
obgleich sie sich hassen
wie futterneidische Tiere.
Und lecken und beißen die Lippen,
nippen mechanisch an ihrem Glas.
Kellnervertraulichkeit. –
Zweie sind sich einig und gehen.
Alle winken und schachern,
gemustert, bemessen und bemäkelt
wie Lumpen im Trödelladen.
Kaum daß man es merkt
Wechseln die Weiber.
Leise hautreizend, prickelnd,
frech und leidenschaftswild
wühlt ein Bohèmegeiger mit seiner Kapelle
Musik in die Glieder.
(o.J.)
Alfred Lichtenstein
Der Winter
Von einer Brücke schreit vergrämt ein
Hund
Zum Himmel … der wie ein alter grauer
Stein
Auf fernen Häusern steht. Und wie ein
Tau
Aus Teer liegt auf dem Schnee ein toter
Fluß.
Drei Bäume, schwarzgefrorne Flammen,
drohn
Am Ende aller Erde. Stechen scharf
Mit spitzen Messern in die harte Luft,
In der ein Vogelfetzen einsam hängt.
Ein paar Laternen waten zu der Stadt;
Erloschne Leichenkerzen. Und ein Fleck
Aus Menschen schrumpft zusammen und ist
bald
Ertrunken in dem schmählich weißen
Sumpf.
(o.J.)
Alfred Lichtensetin
Die Dämmerung
Ein dicker Junge spielt mit einem
Teich.
Der Wind hat sich in einem Baum
gefangen.
Der Himmel sieht verbummelt aus und
bleich,
Als wäre ihm die Schminke ausgegangen.
Auf langen Krücken schief herabgebückt
Und schwatzend kriechen auf dem Feld zwei
Lahme.
Ein blonder Dichter wird vielleicht
verrückt.
Ein Pferdchen stolpert über eine Dame.
An einem Fenster klebt ein fetter
Mann.
Ein Jüngling will ein weiches Weib
besuchen.
Ein grauer Clown zieht sich die Stiefel
an.
Ein Kinderwagen schreit und Hunde
fluchen.
(1911)
Alfred Lichtenstein
Die Stadt
Ein weißer Vogel ist der große Himmel.
Hart unter ihn geduckt stiert eine Stadt.
Die Häuser sind halbtote alte Leute.
Griesgrämig glotzt ein dünner Droschkenschimmel.
Und Winde, magre Hunde, rennen matt.
An scharfen Ecken quietschen ihre Häute.
In einer Straße stöhnt ein Irrer: Du, ach, du –
Wenn ich dich endlich, o Geliebte, fände …
Ein Haufen um ihn staunt und grinst voll Spott.
Drei kleine Menschen spielen Blindekuh –
Auf alles legt die grauen Puderhände
Der Nachmittag, ein sanft verweinter Gott.
(1913)
Alfred Lichstenstein
Erotisches Variéte
Auf offner Straße in der Nacht
Entkleidet sich ein Kneipenwirt.
Ein Ingenieur ist aufgebracht,
Der sich bei seinem Weib verirrt.
Nach gleichgesinnten Viechern schielt
Ein homosexueller Hund.
Ein Greis, der mit sich selber spielt,
Merkt: Allzuviel ist ungesund.
In schmutzig grüner Tunke hockt
Ein blauer Syphilitiker.
Ein Boxer bebt. Ein Baby bockt.
Verstiert fault ein Zylinderherr.
Ein Auto bringt ein Fräulein um.
Ein Junge bricht ein Mädchen an.
Verbittert ist ein Mensch. Warum?
Weil er nicht coitieren kann.
(1913)
Alfred Lichtenstein
Prophezeiung
Einmal kommt – ich habe Zeichen –
Sterbesturm aus fernem Norden.
Überall stinkt es nach Leichen.
Es beginnt das große Morden.
Finster wird der Himmelsklumpen,
Sturmtod hebt die Klauentatzen:
Nieder stürzen alle Lumpen,
Mimen bersten, Mädchen platzen.
Polternd fallen Pferdeställe.
Keine Fliege kann sich retten.
Schöne homosexuelle
Männer kullern aus den Betten.
Rissig werden Häuserwände.
Fische faulen in dem Flusse.
Alle nimmt sein ekles Ende.
Krächzend kippen Omnibusse.
(1913)
Oskar Loerke
Blauer Abend in Berlin
Der Himmel fließt in steinernen
Kanälen;
Denn zu Kanälen steilrecht ausgehauen
Sind alle Straßen, voll vom
Himmelblauen.
Und Kuppeln gleichen Bojen, Schlote
Pfählen
Im Wasser. Schwarze Essendämpfe
schwelen
Und sind wie Wasserpflanzen
anzuschauen.
Die Leben, die sich ganz am Grunde
stauen,
Beginnen sacht vom Himmel zu erzählen,
Gemengt, entwirrt nach blauen
Melodien.
Wie eines Wassers Bodensatz und Tand
Regt sie des Wassers Wille und
Verstand
Im Dünen, Kommen, Gehen, Gleiten,
Ziehen.
Die Menschen sind wie grober Sand
Im linden Spiel der großen Wellenhand.
(1911)
Ernst wilhelm Lotz
Aufbruch der Jugend
Die flammenden Gärten des Sommers, Winde, tief und voll
Samen,
Wolken, dunkel gebogen, und Häuser, zerschnitten vom Licht.
Müdigkeiten, die aus verwüsteten Nächten über uns kamen,
Köstlich gepflegte, verwelkten wie Blumen, die man sich bricht.
Also zu neuen Tagen erstarkt wir spannen die Arme,
Unbegreiflichen Lachens erschüttert, wie Kraft, die sich staut,
Wie Truppenkolonnen, unruhig nach Ruf der Alarme,
Wenn hoch und erwartet der Tag überm Osten blaut.
Grell wehen die Fahnen, wir haben uns heftig
entschlossen,
Ein Stoß ging durch uns, Not schrie, wir rollen geschwellt,
Wie Sturmflut haben wir uns in die Straßen der Städte ergossen
Und spülen vorüber die Trümmer zerborstener Welt.
Wir fegen die Macht und stürzen die Throne der Alten,
Vermoderte Kronen bieten wir lachend zu Kauf.
Wir haben die Türen zu wimmernden Kasematten zerspalten
Und stoßen die Tore verruchter Gefängnisse auf.
Nun kommen die Scharen Verbannter, sie strammen die
Rücken,
Wir pflanzen Waffen in ihre Hand, die sich fürchterlich krampft,
Von roten Tribünen lodert erzürntes Entzücken,
Und türmt Barrikaden, von glühenden Rufen umdampft.
Beglänzt von Morgen, wir sind die verheißnen Erhellten,
Von jungen Messiaskronen das Haupthaar umzackt,
Aus unsern Stirnen springen leuchtende, neue Welten,
Erfüllung und Künftiges, Tage, sturmüberflaggt!
(1917)
Ernst Wilhelm Lotz
Da sind die Straßen …
Da sind die Straßen weit und Licht-durchschrieen,
hoch wölkt der Staub und breitet aus den Schein,
durch den gehetzt Kolonnen Wagen fliehen
in violette Dunkelheit hinein.
Und Menschen, massenhaft und schwarz, durchstürmen
die Straßen, vorgebeugt und frongebannt.
Und Feierabend läutet von den Türmen
der Stadt, verloren, hoch und unerkannt.
Lärm stößt an Lärm. Schmerzhelle Klingeln schellen,
zersägend das Gehör. Wagen mit Eisen
erschüttern. Die Elektrische mit grellen
Schleiftönen nimmt die Kurve in den Gleisen.
Und meiner Nerven Netz, so fein besaitet,
drin Perlen hängen aus dem ewigen Meer:
es ist als Teppich in den Staub gebreitet,
und gräßlich wälzt der Tag sich drüberher.
(1913)
Ernst Wilhelm Lotz
Hart stoßen sich die Wände in den Straßen
…
Hart stoßen sich die Wände in den
Straßen,
Vom Licht gezerrt, das auf das Pflaster
keucht,
Und Kaffeehäuser schweben im Geleucht
Der Scheiben, hoch gefüllt mit wiehernden
Grimassen.
Wir sind nach Süden krank, nach Fernen,
Wind,
Nach Wäldern, fremd von ungekühlten
Lüsten,
Und Wüstengürteln, die voll Sommer
sind,
Nach weißen Meeren, brodelnd an besonnte
Küsten.
Wir sind nach Frauen krank, nach Fleisch und
Poren,
Es müßten Pantherinnen sein, gefährlich
zart,
In einem wild gekochten Fieberland
geboren.
Wir sind versehnt nach Reizen unbekannter
Art.
Wir sind nach Dingen krank, die wir nicht
kennen.
Wir sind sehr jung. Und fiebern noch nach
Welt.
Wir leuchten leise. – Doch wir könnten
brennen.
Wir suchen immer Wind, der uns zu Flammen
schwellt.
(1917)
Alfons Petzold
An die jungen Menschen
Enthebt euch aus dem dunklen Schoß
beengter Menschenwissenschaft:
Das Leben selbst will stark und groß
euch zeigen seine höchste Kraft.
Die Mauern aus zerlesnen Büchern,
verschriebenen Heften, stürzt sie ein!
Enthüllt von tausend Leichentüchern
der Schönheit hellen Götterstein!
Vergeßt die Orgien der Zahl,
der Sprache blinde Tyrannei.
Der Tafel Logarithmenqual
soll brechen eure Faust entzwei.
Nun stürzt euch in das große Träumen
der ungeheuren Welt hinaus
und meßt euch in den Sternenräumen
die Länder für die Seele aus.
Die feile Phrase von dem Sinn
der übernommnen Tüchtigkeit,
werft sie zum andern Trödel hin
und werdet Kinder eurer Zeit!
Reißt nur herab die altersgrauen
Perücken einer Mumienzunft,
die Brillen mit den nebelblauen
Nachtgläsern trockenster Vernunft.
Und tretet nackt aus euch ins Licht
des Tages, der euch wird geschenkt,
da ihr das junge Angesicht
nicht mehr in leere Schriften senkt.
Werft euch dem Leben an die Brüste
mit einem Schrei der Ungeduld
und laßt zurück die gelbe Wüste
jahrhundertalter Lebenschuld!
Die Erde ruft nach Griff und Tat,
Gelehrsamkeit ist ihr verhaßt,
Gehirne brauchen keine Saat,
die nie zum Reifen Boden faßt.
Und wollt ihr Gottes Reich erringen,
trotz der Katheder schwarzem Fluch,
so laßt den Zwang den toten Dingen
und macht euch frei von Heft und Buch!
(1923)
Alfons Petzold
Die wunde Menschheit
Alle Menschen sind um mich verwundet,
Blut rauscht monotone Melodie.
Jedem ist der Tod nur kurz gestundet,
immer bleicher werdend, wanken sie
durch die Gassen, öffentlichen Räume,
durch die Armut und den reichen Prunk.
Aus der Stuben steinernem Gesäume
schlägt der Atem ihrer Eiterung.
Und ihr Spiel ist das von fiebrig-feuchten
Händen auf der Decke rauhem Flaum,
und ihr Tun ist das von aufgescheuchten
kranken Tieren zwischen Busch und Baum.
Viele brechen nieder und verenden
mitten in der Andern Angstgeschrei,
und verglaste Augenpaare schänden
dieser Erde schönes Vielerlei.
(1923)
Alfons Petzold
Großstadt
Plakate schmettern ihre buntfarbigen Phrasen
in das Gewühle der Menschen und Wagen hinein.
Die Stahlelephanten der Automobile rasen,
alles tönt: Gerüste, Schienen, verblocktes Gestein.
Die granitenen Würfel der Gassen, Straßen und Plätze
silbrig, wie Augen eines Insektes glühn,
indes in der Höhe die Telegraphendrahtnetze
bös funkeln und Trotz in die Sonne sprühn.
Schauläden prunken, gleich aufgerissenen Höhlen,
schütten den Glanz ihrer Schätze in Hirn und Herz.
Vorwärts! dröhnt es aus dem Knattern und Grölen.
Vorwärts! schreit alles, kein Auge blickt himmelwärts.
(1919)
Gustav Sack
Der Schrei
Aus dieser steingewordenen Not,
aus dieser Wut nach Brunst und Brot,
aus dieser lauten Totenstadt,
die sich mir aufgelagert hat
härter als Erz, schwerer als Blei,
steigt meine Sehnsucht wie ein Schrei
quellend empor nach Meeren und Weiten
und ungeheuren Einsamkeiten,
aus all dem Staub und Schmutz und
Gewimmel
nach einem grenzenlosen Himmel.
(o.J.)
Gustav Sack
Der Tod
Wenn alles mißgerät und ganz
zersplittert
sogar des Stolzes harte Ruhewiegen
in armen Brocken mir zu Füßen liegen,
wenn mich der Ekel grau und grün
umwittert,
mich die Verzweiflung mauernhoch
umgittert,
weiß ich mich noch an einen Trost zu
schmiegen,
auf purpurrot belegten Marmorstiegen
vom Dufte des Vergessens schon
umzittert
selbstherrlich in dein Königreich zu
schreiten,
in dem der Sturm Begehren endlich
schweigt,
in dem erstickt von tiefsten
Sicherheiten
der zungenlaute Zweifel von mir weicht
und mir nicht mehr zu kurzen
Trunkenheiten
die Hoffnung ihren Lügenbecher reicht.
(1920)
Gustav Sack
Genug!
Genug! jetzt halte ich den Kreisel
stille,
der ohne Rast sich um sich selber
dreht
und den ein wütend blinder Weltenwille
mit Peitschen treiben muß, daß er nur
steht
und nicht im nächsten Augenblicke matt
und ewig regungslos zu Boden fällt.
Genug! ich bin der Peitsche übersatt,
satt bin ich dieser qualgepeitschten
Welt
und gebe den Gehorsam endlich auf,
ein Ding zu sein, das alle Nöte
hetzen,
bis es nach richtig abgerastem Lauf
umsinkt ein Haufen Staub und
Trümmerfetzen.
Mein sei der Augenblick, in dem ich
falle,
ich will in meiner Nöte größter Not
und voller Hohn und bitterschwarzer
Galle
eingehn in einen freiherrlichen Tod!
(1920)
Ernst stadler
Der Aufbruch
Einmal schon haben Fanfaren mein ungeduldiges Herz blutig
gerissen,
Daß es, aufsteigend wie ein Pferd, sich wütend ins Gezäum
verbissen.
Damals schlug Tamburmarsch den Sturm auf allen
Wegen.
Und herrlichste Musik der Erde hieß uns
Kugelregen.
Dann, plötzlich, stand Leben stille. Wege führten zwischen
alten Bäumen.
Gemächer lockten. Es war süß, zu weilen und sich
versäumen,
Von Wirklichkeit den Leib so wie von staubiger Rüstung zu
entketten,
Wollüstig sich in Daunen weicher Traumstunden
einzubetten.
Aber eines Morgens rollte durch Nebelluft das Echo von
Signalen,
Hart, scharf, wie Schwerthieb pfeifend. Es war, wie wenn im
Dunkel plötzlich Lichter
aufstrahlen.
Es war, wie wenn durch Biwakfrühe Trompetenstöße
klirren.
Die Schlafenden aufspringen und die Zelte abschlagen und die
Pferde schirren.
Ich war in Reihen eingeschient, die in den Morgen stießen,
Feuer über Helm und Bügel,
Vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht, mit vorgehaltnem
Zügel.
Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche
umstreichen,
Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter
Leichen.
Aber vor dem Erraffen und vor dem
Versinken
Würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend
trinken.
(1913)
Ernst Stadler
In diesen Nächten
In diesen Nächten friert mein Blut nach deinem Leib,
Geliebte.
O, meine Sehnsucht ist wie dunkles Wasser aufgestaut vor
Schleusentoren,
In Mittagstille hingelagert reglos
lauernd,
Begierig, auszubrechen. Sommersturm,
Der schwer im Hinterhalt geladner Wolken hält. Wann kommst du,
Blitz,
Der ihn entfacht, mit List befrachtet,
Fähre,
Die weit der Wehre starre Schenkel von sich sperrt? Ich
will
Dich zu mir in die Kissen tragen so wie Garben jungen
Klees
In aufgelockert Land. Ich bin der
Gärtner,
Der weich dich niederbettet. Wolke,
die
Dich übersprengt, und Luft, die dich
umschließt.
In deine Erde will ich meine irre Glut vergraben
und
Sehnsüchtig blühend über deinem Leibe
auferstehn.
(1914)
Ernst Stadler
Vorfrühling
In dieser Märznacht trat ich spät aus meinem
Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch und grünem
Saatregen.
Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung ging ich
weit hinaus
Bis zu dem unbedeckten Wall und spürte: meinem Herzen schwoll
ein neuer Takt entgegen.
In jedem Lufthauch war ein junges Werden
ausgespannt.
Ich lauschte, wie die starken Wirbel mir im Blute
rollten.
Schon dehnte sich bereitet Acker. In den Horizonten
eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden, die ins Weite führen
sollten.
Die Schleusen knirschten. Abenteuer brach aus allen
Fernen.
Überm Kanal, den junge Ausfahrtwinde wellten, wuchsen helle
Bahnen,
In deren Licht ich trieb. Schicksal stand wartend in umwehten
Sternen.
In meinem Herzen lag ein Stürmen wie von aufgerollten
Fahnen.
(1914)
August Stramm
Krieg
Wehe wühlt
Harren starrt entsetzt
Kreißen schüttert
Bären spannt die Glieder
Die Stunde blutet
Frage hebt das Auge
Die Zeit gebärt
Erschöpfung
Jüngt
Der
Tod.
(1915)
August Stramm
Patrouille
Die Steine feinden
Fenster grinst Verrat
Äste würgen
Berge Sträucher blättern raschlig
Gellen
Tod.
(1915)
August Stramm
Sturmangriff
Aus allen Winkeln gellen Fürchte
Wollen
Kreisch
Peitscht
Das Leben
Vor
Sich
Her
Den keuchen Tod
Die Himmel fetzen
Blinde schlächtert wildum das
Entsetzen
(1915)
August Stramm
Trieb
Schrecken Sträuben
Wehren Ringen
Ächzen Schluchzen
Stürzen
Du!
Grellen Gehren
Winden Klammern
Hitzen Schwächen
Ich und Du!
Lösen Gleiten
Stöhnen Wellen
Schwinden Finden
Ich
Dich
Du!
(1915)
August Stramm
Vorfrühling
Pralle Wolken jagen sich in Pfützen
Aus frischen Leibesbrüchen schreien Halme
Ströme
Die Schatten stehn erschöpft.
Auf kreischt die Luft
Im Kreisen, weht und heult und wälzt
sich
Und Risse schlitzen jählings sich
Und narben
Am grauen Leib.
Das Schweigen tappet schwer herab
Und lastet!
Da rollt das Licht sich auf
Jäh gelb und springt
Und Flecken spritzen –
Verbleicht
Und
Pralle Wolken tummeln sich in Pfützen.
(o.J.)
Ernst toller
An alle Gefangenen
Dämmerung, Schwester der Gefangenen,
Deine Stille schwingt Melodie.
Auf schmaler Pritsche liege ich und lausche
…
Ich höre Euer Herz klopfen,
Eingekerkert in den Gefängnissen der
Kontinente,
Dort … und dort … und dort …
Brüder mir: Kämpfer, Rebellen, – ich grüße
Euch.
Eine Welt wollen sie Euch weigern,
Eure Welt aber lebt in Eurem Willen.
Und Euch grüße ich, Brüder in den Kerkern Afrikas und
Asiens,
Euch, Brüder, in Zuchthäusern der
Erde,
Diebe und Einbrecher, Totschläger und
Mörder,
Brüder jetzt eines Schicksals, ich grüße
Euch.
Wer kann von sich sagen, er sei nicht
gefangen?
Ich höre Euer Herz klopfen
Dort … und dort … und dort …
O wäre mir gegeben zu lauschen
Mit der zeitlosen Liebe des geträumten
Gottes,
Ich hörte
Den einen Herzschlag
Aller menschlichen Geschlechter
Aller Sterne
Aller Tiere
Aller Wälder
Aller Blumen
Aller Steine.
Ich hörte
Den einen Herzschlag
Alles
Lebendigen.
(1924)
Ernst Toller
An die Dichter
Anklag ich Euch, Ihr Dichter,
Verbuhlt in Worte, Worte, Worte!
Ihr wissend nickt mit Greisenköpfen,
Berechnet Wirbelwirkung, lächelnd und
erhaben,
Ihr im Papierkorb feig versteckt!
Auf die Tribüne, Angeklagte!
Entsühnt Euch!
Sprecht Euch Urteil!
Menschkünder
Ihr!
Und seid …?
So sprecht doch! Sprecht!
(1924)
Ernt Toller
Den Müttern
Mütter,
Eure Hoffnung, Eure frohe Bürde
Liegt in aufgewühlter Erde,
Röchelt zwischen Drahtverhauen,
Irret blind durch gelbes Korn.
Die auf den Feldern jubelnd stürmten,
Torkeln eingekerkert,
wahnsinnschwärend,
Blinde Tiere durch die Welt.
Mütter!
Eure Söhne taten das einander.
Grabt Euch tiefer in den Schmerz,
Laßt ihn zerren, ätzen, wühlen,
Recket gramverkrampfte Arme,
Seid Vulkane, glutend Meer:
Schmerz gebäre Tat!
Euer Leid, Millionen Mütter,
Dien als Saat durchpflügter Erde,
Lasse keimen
Menschlichkeit.
(o.J.)
GEORG
TRAKL
De profundis
Es ist ein Stoppelfeld, in das ein schwarzer Regen
fällt.
Es ist ein brauner Baum, der einsam
dasteht.
Es ist ein Zischelwind, der leere Hütten
umkreist.
Wie traurig dieser Abend.
Am Weiler vorbei
Sammelt die sanfte Waise noch spärliche Ähren
ein.
Ihre Augen weiden rund und goldig in der
Dämmerung
Und ihr Schoß harrt des himmlischen
Bräutigams.
Bei der Heimkehr
Fanden die Hirten den süßen Leib
Verwest im Dornenbusch.
Ein Schatten bin ich ferne finsteren
Dörfern.
Gottes Schweigen
Trank ich aus dem Brunnen des Hains.
Auf meine Stirne tritt kaltes Metall
Spinnen suchen mein Herz.
Es ist ein Licht, das in meinem Mund
erlöscht.
Nachts fand ich mich auf einer Heide,
Starrend von Unrat und Staub der
Sterne.
Im Haselgebüsch
Klangen wieder kristallne Engel.
(1913)
GEORG
TRAKL
Grodek
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen
Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott
wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze
Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und
Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden
Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden
Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des
Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger
Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
(1915)
GEORG
TRAKL
Im Winter
Der Acker leuchtet weiß und kalt.
Der Himmel ist einsam und ungeheuer.
Dohlen kreisen über dem Weiher
Und Jäger steigen nieder vom Wald
Ein Schweigen in den schwarzen Wipfeln
wohnt.
Ein Feuerschein huscht aus den Hütten.
Bisweilen schellt sehr fern ein
Schlitten
Und langsam steigt der graue Mond.
Ein Wild verblutet sanft am Rain
Und Raben plätschern in blutigen
Gossen.
Das Rohr bebt gelb und aufgeschossen.
Frost, Rauch, ein Schritt im leeren
Hain.
(1913)
GEORG
TRAKL
Verfall
Am Abend, wenn die Glocken Frieden läuten,
Folg ich der Vögel wundervollen Flügen,
Die lang geschart, gleich frommen Pilgerzügen,
Entschwinden in den herbstlich klaren Weiten.
Hinwandelnd durch den dämmervollen Garten
Träum ich nach ihren helleren Geschicken
Und fühl der Stunden Weiser kaum mehr rücken.
So folg ich über Wolken ihren Fahrten.
Da macht ein Hauch mich von Verfall erzittern.
Die Amsel klagt in den entlaubten Zweigen.
Es schwankt der rote Wein an rostigen Gittern,
Indes wie blasser Kinder Todesreigen
Um dunkle Brunnenränder, die verwittern,
Im Wind sich fröstelnd blaue Astern neigen.
(1913)
Friedrich Wilhelm Wagner
Café in deutscher Stadt
Ein Kellnerfrack. Der Demut feile Geste
Geduckt ein Dichter nachsinnt neuer Pose.
Der feiste Wirt, in sehr befleckter Hose,
Breit grinsend grüßt die vornehmeren Gäste.
Ein Pikkolo verstummt vor schmalen Frauen.
Er starrt verstört. Die Geigen gurren geil.
Bebauchte Bürger, stämmig, steif und steil,
Glotzblickig blöde, dösen und verdauen.
Kokotten lächeln – sündeseliger Segen.
Sehr provozierend wirken neben fetten
Profitvisagen protzig Epauletten,
Verwelkte Weiber wonnig zu bewegen.
Der Dichter döst. Das Dudeln macht ihn dumm.
Ein grauer Greis sielt sich in Dreckjournalen.
Ein rauher Ruf zerreißt den Raum: »Bezahlen!«
Der Dichter geht. Sehr langsam, träge, krumm.
(1920)
Friedrich Wilhelm Wagner
Sommertag
Die Sommersonne foltert fürchterlich
Den lahmen Leib. Kein Wind bewegt die Schwüle.
Der Asphalt stinkt. Es faulen die Gefühle.
Ein Droschkengaul verreckt am Sonnenstich.
Lustmörder lauern. Haften hart und heiß
Ist eine Mädchenhand und macht ermatten.
Die kleinen Huren blühen blaß. Im Schatten
Steht statuenstarr ein blinder Bettelgreis.
Und von des Lebens fadem Einerlei
Gelangweilt döst auf schattigem Balkone
Und lauscht dem Lärm entfernter Grammophone
Ein fetter, fauler Papagei.
(1920)
Marieluise Weissmann
Der Gorilla
Er atmet ihre Schwüle längst nicht
mehr,
Doch lastet seinem Nacken immer noch der Traum der großen
Seen
Und läßt ihn tief zum Sand gebückt und
schwer
Im Takt zur Wiederkehr der Eisenstäbe
gehn.
Er möchte wohl der Glanz der Papageien
sein,
Das Duften der Reseden und der
Walzerklang,
Doch bricht kein Strahl den trüben Spiegel seines Auges
ein:
Die Hand trägt still gefaltet den beträumten
Gang
Dem fremden Leuchten still und fremd
vorbei.
Manchmal, im Schrei,
Der fernher trifft, fühlt er sich jäh dem
Schlund
Des Schlafes steil emporgereckt
entragen
Und knirschend seiner Stirne aufgewandtes
Rund
An steingewölbte Firmamente schlagen.
(1922)
Franz Werfel
Der rechte Weg
(Traum)
Ich bin in eine große Stadt gekommen.
Vom Riesenbahnhof trat den Weg ich an,
Besah Museen, Plätze, habe dann
Behaglich eine Rundfahrt unternommen.
Den Straßenstrom bin ich
herabgeschwommen
Und badete im Tag, der reizend rann.
Da! Schon so spät!? Ich fahre aus dem
Bann.
Herrgott, mein Zug! Die Stadt ist grell
erglommen.
Verwandelt alles! Tausend Auto jagen,
Und keines hält. Zweideutige Auskunft
nur
Im Ohr durchkeuch’ ich das
Verkehrs-Gewirre.
Der Bahnhof?! Wo?! Gespenstisch summt mein
Fragen.
Die Straßen blitzen, endlos, Schnur um
Schnur,
Und alle führen, alle, in die Irre.
(1911)
Alfred Wolfenstein
Im Bestienhaus
Ich gleite traurig rings umgittert von den
Tieren
Durchs brüllende Haus am Stoß der Stäbe hin und
her,
Und blicke weit in ihren Blick wie weit hinaus auf
Meer
In ihre Freiheit … die die schönen nie
verlieren.
Der harte Takt der engen Stadt und Menschheit
zählt
An meinen Zeh’n, doch lose schreiten
Einsamkeiten
Im Tigerknie, und seine baumgestreiften
Seiten
Sind nur der ganz bewachsnen Erde eng
vermählt.
Ach ihre reinen heißen Seelen fühlt mein
Wille
Und ich zerschmelze sehnsuchtsvoller als ein
Weib.
Des Jaguars Blitze gelb aus seinem
Sturmnachtleib
Empfängt mein Schneegesicht und winzige
Pupille.
Der Adler sitzt wie Statuen still und scheinbar
schwer
Und aufwärts aufwärts in Bewegung
ungeheuer!
Sein Auftrieb greift in mich und spannt mich in sein
Steuer
… Ich bleibe still, ich bin von Stein, es fliegt nur
er.
Es steigen hoch der Elefanten graue
Eise,
Gebirge, nur von Riesengeistern noch
bewohnt:
Von Wucht und Glut des freien Alls bin ich
umthront,
Und stehe eingesperrt in ihrem wilden
Kreise.
(1917)
Alfred Wolfenstein
Krankes Wohnen
Dieses Gehen im trüben Tunnel der Straße …
Bleiche Fenster spielen an mir vorbei.
Oben des kleinen Himmels Einerlei
Wirft in die Scheiben ein schiefes Lachen.
Trocken kreischt die hündisch liegende Straße,
Die mein Fuß in Unruh und Haß gebraucht.
Niedre Luft, von Stadtgerüchen durchraucht,
Speit auf meine Stirn aus pfeifenden Rachen.
Gähnend endet die Straße.
Und die zuckenden Lippen atmen ins Freie hinaus,
Wo sich warm der Tiefe Grün und goldene Hoheit umfängt …!
Doch ich werde mich wenden … dumpf gedrängt
In der Gewalt der Häuser bin ich zu Haus.
(1913)
Alfred Wolfenstein
Nacht in der Sommerfrische
Vor der verschlungnen Finsternis
stöhnt
Stöhnt mein Mund,
Ich, an Lärmen unruhig gewöhnt,
Starre suchend rund:
Berge, von Bäumen behaart, ruhn
Schwarz wüst herein,
Was ihre Straßen nun tun
Äußert kein Schein, kein Schrein.
Aber ein wenig sich zu irrn
Wünscht, wünscht mein Ohr!
Schwänge nur eines Käfers Schwirrn
Mir ein Auto vor.
Wäre nur ein Fenster drüben bewohnt,
Doch im gewölbten Haus
Nichts als Sterne und hohlen Mond
— Halt ich nicht aus —
Halt ich nicht aus, meinem Schlaf allmächtig
umstellt!
Fremd, fremd und nah —
Durch den See noch näher geschwellt,
Liegt es lautlos da.
Aber glaubt mich nicht schwach,
Daß ich, — soeben die Stadt noch gehaßt
—
Nun das Land flieh —: es ist nur die Nacht
—
Nur auf dich, diese Nacht, war ich nicht
gefaßt
Wie du tot oder tausendfach unbekannt
Mein schwarzes Bett umlangst,
Nirgends durchbrochen von menschlicher
Hand,
Tötet mich die Angst.
(1914)
Alfred Wolfenstein
See
Der See ist bleich und krank, so lange starrt er in das
Licht
Des blauen Gottes, das er spiegeln muß. Wer spiegelt sein
Gesicht?
Der Sonne unaufhörlich donnernde Keule schlägt
entzwei
Die trocknen Ufer. Ihn verhärtet sie zu
Blei.
So quält dich Himmel! Aber stürme . . ! und es
schwankt
Das Bild der Übermacht und sinkt, dein wildes Wasser
rankt
Sich göttlich selbst empor! die Woge
schwillt
Von sich! und schleudert an die Wolken nun ihr
Bild.
(1917)
Alfred Wolfenstein
Stadtnachmittag
Über den Himmel, in Straßen
Zerschnitten, fahren
Die Winde wie rostige Wagen,
Sie schrillen herab und ziehn in die
Rahmen
Der Fenster, verstümmelt.
Aus Käfigen wimmern
Wie aus längst gehauenen Wäldern
Die Vögel, schon eckig und hohl gleich
Zimmern.
Papageien mit menschlichen Worten
Knacken den letzten Tiersang zu
Trümmern.
Zurück in den Himmel schreien
Rasselnd in Blech gefesselte Reden,
Phonographen seihen
Brausende Leidenschaften der Menschen
Durch ihre Ritzen und Reihen.
Ein Kind mit flötender Stimme
Summt aus dem Keller unter meinem Stuhle .
.
Augenblicke lang bricht die Stadt ins
Knie
Wie vor einem blauen Donnerklang.
Und ich schwieg, als sie weiterschrie.
(1917)
Alfred Wolfenstein
Städter
Nah wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die
Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte sehn.
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, ihre nahen Blicke baden
Ineinander, ohne Scheu befragt.
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich
weine,
Unser Flüstern, Denken . . wird Gegröle .
.
– Und wie still in dick verschloßner
Höhle
Ganz unangerührt und ungeschaut
Steht ein jeder fern und fühlt:
alleine.
(1914)
Paul Zech
Der Hauer
Den breiten Nacken rittlings
hingestemmt,
so führt er Schlag für Schlag die
Eisenpflöcke
in das Gestein, bis aus dem Sprung der
Blöcke
Staub sprudelt und den Kriechgang
überschwemmt.
Im Flackern des verrußten Grubenlichts
blinkt der halbnackte Körper wie
metallen.
Schweißtropfen stürzen, perlen rund im
Fallen,
aus den weit offnen Poren des
Gesichts.
Er summt ein dummes Straßenlied zum
Takt
der Hammer und dem Spiel der Eisen
und stockt nur wie von jähem Schreck
gepackt,
wenn hinten weit im abgeteuften
Stollen
Sprengschüsse dumpf wie Donnerschläge
rollen
und stockt und läßt die Lampe dreimal
kreisen.
(1911)
Paul Zech
Fabrikstraße tags
Nichts als Mauern. Ohne Gras und Glas
zieht die Straße den gescheckten Gurt
der Fassaden. Keine Bahnspur surrt.
Immer glänzt das Pflaster wassernaß.
Streift ein Mensch dich, trifft dein Blick dich
kalt
bis ins Mark; die harten Schritte haun
Feuer aus dem turmhoch steilen Zaun,
noch sein kurzes Atmen wolkt geballt.
Keine Zuchthauszelle klemmt
in ein Eis das Denken wie dies Gehn
zwischen Mauern, die nur sich besehn.
Trägst du Purpur oder Büßerhemd –:
immer drückt mit riesigem Gewicht
Gottes Bannfluch: uhrenlose
Schicht.
(1922)
Paul Zech
Pumpwerk
Der Dynamo, auf weißer Fliesen Haut
geschraubt,
heult dumpf wie Brandung. An den
Manometerskalen
vibrieren Zeiger, doppelzüngige
Spiralen
von Zahl zu Zahl. Das Kolbenungeheuer
schnaubt
durch Bäche Öl, tobt ichlos,
wutgeschwellt
wie heiße Pantherläufe hinter einem
Gitter.
Der Räderberge fernher schwingendes
Gewitter
bläst auf den Pistons Nervenarien,
blitzbegrellte.
… Winziger Mensch du, der den Hebel
packt:
Der Kolben Anarchie mit einem Griff zu
zähmen,
der Mühlen mahlendes Gewicht zu
lähmen,
winziger Mensch: wie deine Lippen
spielend
Gedanken ziehn das Luftreich zu
durchkielen!
Du stöhnst! … Tief tobt der Schacht, ein roter
Katarakt.
(1922)
Paul Zech
Vesperpause
Ein asphaltierter Hof von Mauern eng
umstellt.
Auf morschen Bohlen kauern stumm die
Maschinisten,
gebückte Greise, die ein Gnaden-Elend
fristen;
vor Rad und Hebel stockt der Himmel ihrer
Welt.
Zinkschmelzerinnen wölben Hüften aus und
Brust.
Bisweilen fällt aus ihren Augen ein gehetztes
Schimmern
deutbar wie Films, die plastisch auf der Leinwand
flimmern.
Schmerzfalten der Gesichter sind vom Erzstaub
überrußt.
Den Schleppern tönt ein Rausch aus der Kantine
zu,
wo sie in mitternächtiger Ruh
Revolutionen hetzen und erwürgen.
Vom Dach herab, das Tau und Teer
vertropft
droht Unheil. Kupfertrossen, dunkel
angeklopft,
gewittern Wälderklang aus unterirdischen
Gebirgen.
(1922)
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